Mittwoch, 04. November 2020: Der Neid steckt in uns allen
In einer alten russischen Legende heißt es, Gott habe einem Bauern versprochen, ihm zu geben, was er wolle … Er – Gott – würde die Bitte erfüllen, aber dem Nachbarn das Doppelte geben. Der Bauer hatte lange überlegt und dann zu Gott gesagt: »Reiß mir ein Auge aus!«
Wie manche andere russische Legende lässt uns auch diese tief in das Herz des Menschen blicken. Es ist arglistig und ganz und gar verdorben, wie Jeremia 17,9 sagt. Lieber will man Unglück erleiden als Gutes sehen, wenn es nur dem Nächsten nicht noch besser ergeht. Das schlimme Übel des Neides plagt die Menschheit so sehr, dass wir gern auf etwas verzichten, wenn es dafür dem Nachbarn auch fehlen wird.
In einem Gedicht sagt Wilhelm-Busch, der Autor von »Max und Moritz«: »Nachbar Nickel ist verdrießlich, / und er darf sich wohl beklagen, / weil ihm seine Pläne schließlich alle gänzlich fehlgeschlagen. / Unsre Ziege starb heut Morgen. / Geh und sags ihm, guter Knabe, / dass er nach so vielen Sorgen / auch mal eine Freude habe.« Weil das Herz des Menschen hier so schrecklich gut durchschaut wurde, glaube ich, dass wir die zweite Aufforderung unseres Tagesverses viel leichter erfüllen können als die erste: Viel lieber wollen wir mit den Weinenden weinen, als mit den sich Freuenden uns freuen. Und sowohl der russische Bauer, als auch Buschs Nachbar machen es noch ärger: Sie drehen unseren Tagesvers tatsächlich um. Sie weinen wegen des Glücks des Nachbarn und freuen sich, wenn es ihnen schlecht geht. Nur Gott kann so verdrehte Herzen wiederherstellen. Und wer Frieden mit ihm haben will, muss ihn darum bitten.
Solch ein Gebet erhört Gott gern, wenn wir ehrlich unsere Verdorbenheit vor ihm eingestehen.
Hermann Grabe
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- 1. Könige 10,1-9